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Veranstaltungsreihe Ende Juni / Anfang Juli

Zwei Zombies

 Von der Kritik der Religion der Subjektivität zur Kritik der religiösen Subjektivität und zurück

Zwei Vortragsabende am 27. 6. und 11. 7. in der Kriegkstraße 12

I. Fr, 27.6., 18 Uhr: Zur Kritik der Subjektivität

Vorstellung und Diskussion des Konzepts der Gruppe HARP

Murat Ates (Wien): War Buddha Poststrukturalist? – Zur Dekonstruktion eurozentristischer Subjektkritik

Jonathan Klein (ffm): Totgesagte leben freier: Zur Autonomie des Subjekts im Angesicht des Abgrunds

 

II. Fr, 11.7., 18 Uhr: Zur Kritik der Religionskritik

Georg Spoo (Freiburg): Die rettende Religionskritik von Feuerbach und Marx

Paul Stephan (ffm): Zweifelnde Ungläubige – Max Stirner und Friedrich Nietzsche


 

Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, — wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, — und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!

(Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft; 1882)

Man braucht sich nicht sonderlich über das Ende des Menschen aufzuregen; das ist nur ein Sonderfall oder, wenn Sie so wollen, eine der sichtbaren Formen eines weitaus allgemeineren Sterbens. Damit meine ich nicht den Tod Gottes, sondern den Tod des Subjekts, des Subjekts als Ursprung und Grundlage des Wissens, der Freiheit, der Sprache und der Geschichte.
Man kann sagen, die ganze abendländische Zivilisation war auf dem Subjekt aufgebaut, und die Philosophen haben das nur konstatiert, als sie alles Denken und jegliche Wahrheit auf das Bewusstsein, das Ich, das Subjekt bezogen. In dem Erdbeben, das uns heute erschüttert, müssen wir vielleicht die Geburt einer Welt erblicken, in der man wissen muss, dass das Subjekt nicht eins ist, sondern zerrissen; nicht souverän, sondern abhängig; nicht absoluter Ursprung, sondern stets wandelbare Funktion.

(Michel Foucault: Die Geburt einer Welt; 1969)

Die Moden kommen und gehen, und jede ist wie die andere. Die Vergoldung vergeht, das Leder besteht. Noch unlängst feierte man den Tod des Menschen und die Seinsverfehlung des Subjekts. Wenn man der aktuellen Presse glauben möchte, waren diese Meldungen etwas voreilig. Das Subjekt, ein echtes Stehaufmännchen, weilt anscheinend wieder unter uns. All dieses Gerede über den Tod des Menschen und das Ende des Subjekts war allerdings nie etwas anderes als pseudotheoretische Tarnung für eine Flucht aus der Verantwortung – von Seiten des Psychoanalytikers, des Denkers, des Bürgers. Desgleichen verbergen die lärmenden Verlautbarungen von heute über die Rückkehr des Subjekts, wie der vermeintliche ‚Individualismus‘, der sie begleitet, nur den voranschreitenden Zerfall unter einer weiteren seiner Formen. Das Subjekt ist nicht zurück, weil es nie fort war. Es war immer da – wenngleich nicht als Substanz, sondern als Frage und als Entwurf.

(Cornelius Castoriadis: Der Zustand des Subjekts heute; 1986)

Die Ideen von einem Schöpfergott der Welt einerseits, einem diesem analogen und in einer Art Abhängigkeitsbeziehung zu ihm stehenden autonomen, schöpferischen, souveränen Subjekt andererseits als konstitutive Fundamente der traditionellen abendländischen Kultur sind seit etwa 200 Jahren Gegenstand vehementer Kritik von verschiedenster Seite. Bis heute schlagen die Emotionen hoch, wenn es um diese beiden zusammenhängenden Konzepte geht, scheint mit ihrer Infragestellung doch eine ganze Lebensform ihrer Existenzgrundlage beraubt zu werden. Wir befinden uns in der paradoxalen Situation, dass wir Gott und Subjekt weder eindeutig verleugnen noch eindeutig bejahen zu können scheinen. Gott und Subjekt gleichen Zombies, die weder eine völlig gespensterhafte noch eine wirklich leibliche Existenz führen, weder lebendig noch im eigentlichen Sinne tot sind. Und auch wir selbst, insofern wir weder ganz Subjekt noch ganz Leib, weder Gott noch Tier sind und, wie man uns beibringt, sein sollen. Wie ein Zombie hängen wir uns an die Materie und andere Subjekte und benutzen sie, um unsere (Nicht-)Existenz aufrechtzuerhalten, können jedoch gleichzeitig nicht vollständig befriedigt sein, sondern nur auf Erlösung hoffen – entweder durch ein wirkliches Ende oder die Verklärung hin zu etwas anderem.

Wir wollen uns über die genaue Struktur und Herkunft dieser Paradoxie verständigen und mögliche Auswege aus ihr diskutieren – sei es durch den Blick auf andere Kulturen, eine Neufassung des Subjekt- oder des Gottesbegriffs oder eine Veränderung der selbst zombiehaften Lebenswelt (was keine ausschließenden Alternativen darstellen sollen).


 

 

I. Zur Kritik der Subjektivität – Fr, 27. 6. um 18 Uhr

 

Moderation: Paul Stephan (ffm)

 

Vorstellung und Diskussion des Konzepts der Gruppe HARP

 

Murat Ates (Wien): War Buddha Poststrukturalist? – Zur Dekonstruktion eurozentristischer Subjektkritik

 

Eine Motivation des Vortrages, bereits der Titel konnte es nicht verheimlichen, entspringt dem Bedürfnis, einmal mehr den vorherrschenden Zentralismus in Diskursen aufzubrechen. Dies erscheint gerade dann um so notwendiger, wenn sich der Diskurs als eine Subjektkritik simuliert, die es jedoch bei aller ›Kritik‹ nicht vermag, das Zentrum eines kolonialistischen Machtanspruchs zu verlassen, sich an die Peripherien und darüber hinaus zu bewegen oder zumindest einen Blick in das Lager des systematisch Ausgeschlossen zu wagen. – So hören wir in unterschiedlichen Version, dass das Subjekt zuallererst im neuzeitlichen »Abendland«, namentlich spätestens mit Descartes zu sich gekommen wäre, ein denkendes und handelndes Subjekt der Autonomie, das drei Jahrhunderte später in aller Radikalität von Nietzsche kritisiert und diese Kritik sich schließlich im Poststrukturalismus »unserer« Gegenwart vollendet habe.

Der Vortrag, ohne auf weitere Versionen jener eurozentristischen Geschichte der Subjektkritik einzugehen, aber auch ohne die Diskussion mit ihr abzubrechen, möchte an dieser Stelle mit einem Sprung bzw. durch einen Bruch das Zentrum verlassen, sich einem Zeitraum zuwenden, der zeitlich wie auch räumlich dem Zentrum und seinen (kritischen) Diskursen fern ist. Die Rede ist vom sogenannten »indischen Denken«, in dessen Anfängen wir bereits ein Jahrtausend vor abendländischer Zeitrechnung eine höchst anspruchsvolle Thematisierung und zugleich Problematisierung von Subjektivität beobachten können. Es kommt in den Upanishaden, die hier zunächst besprochen werden sollen, das Subjekt – Sanskrit: ātman – unter unterschiedlichen Aspekten zu Beschreibung und wird dabei als Kern jeder (Leib)Wahrnehmung, Handlung, Denken usw. verstanden. Gerade weil ātman im Verhältnis zu brahman (zum Sein) auch eine transzendierende Rolle zugesprochen wird, ein Moment der absoluten Verallgemeinerung, kommt es zwar bereits in den Upanishaden zu einer Relativierung der Subjektivität, doch bleibt sie auch darin die konzeptuelle Voraussetzung. In einem zweiten Schritt soll mit den Lehren von Siddhārtha Gautama, die unmittelbar auf die spekulativen Annahmen der Spätveden Bezug nehmen, aufgezeigt werden, wie es hier schließlich zu einer radikalen Dekonstruktion jeglicher Subjektivität kommen wird. Basierend auf einer durchaus materialistischen Theorie der reinen Anwesenheit (sati) wird nicht nur die Existenz eines Subjekt als einer transzendentalen Seele jenseits der Erfahrung in Frage gestellt, sondern gerade aufgrund der ständigen Veränderlichkeit des materiellen Geschehens wird das ātman an sich fragwürdig. Das »Ich« wird als anātman (bzw. in Pali anatta) negativ gesetzt und dabei selbst noch der Akt der Negation entsubjektiviert, d.h. es ist auch nicht das Subjekt, das hier dekonstruiert, sondern es dekonstruiert sich im erfahrenen Wissen seiner Nichtigkeit selbst.

Weniger um einem »interkulturellen Philosophieren« als vielmehr der hier bedachten Sache gerecht zu werden, mag am Schluss die Frage offen stehen, inwieweit es hier Parallelen zum »Ende des Subjekts«, wie im Poststrukturalismus besprochen, geben könnte, inwieweit sich hier von der Sache her eine diskontinuierliches, jedoch weltweites Denken ausdrückt.

 

Jonathan Klein (ffm): Totgesagte leben freier: Zur Autonomie des Subjekts im Angesicht des Abgrunds

 

Die Behauptung autonomer Subjekte scheint heute vor allem ideologischen Zwecken zu dienen: insofern sie einerseits die Frage ausblendet, welche Machtbeziehungen das Handeln der Subjekte in Wirklichkeit bestimmen; sowie andererseits und grundlegender: durch welche Mächte diese Subjekte eigentlich geworden sind, wer sie sind. Wie Spinoza schon sagte: Die Menschen halten ihr Wollen so lange für frei, solange sie nicht wissen woher es kommt. Wer hingegen die Frage nach den konstitutiven Bedingungen von Subjektivität stellt, erkennt unweigerlich, dass Wollen, Denken, Begehren, Wahrnehmen, ja selbst die Vorstellung von autonomen Subjekten selbst letztlich unentwirrbar von gesellschaftlichen Verhältnissen und materiellen Grundlagen abhängen. Entsprechend gerät die Vorstellung eines autonomen Subjekts, das vermeintlich im Gegensatz zu materialen und gesellschaftlichen Bestimmungen existiert, in die Kritik: Einerseits entpuppt sich bereits die Vorstellung des frei erkennenden und frei handelnden ,Subjekts‘ als diskursives Produkt der Moderne. Andererseits scheint eine nähere Beschäftigung mit diesem Signifikanten zu der Erkenntnis zu führen, dass sich unter diesem wiederum nichts anderes verbirgt, als das Zusammentreffen diskursiver Prozesse; sowie gegebenenfalls die Effekte des Unbewussten oder des Begehrens. Die unbedingte Erkenntnis- und Entscheidungsinstanz, die man so eben postuliert hatte, scheint somit als bloße Selbsttäuschung entlarvt.

Doch sollten diese Einsichten in die historische Relativität der Vorstellung autonomer Subjektivität, sowie die letztlich unentwirrbare Einbettung von Subjektivität in gesellschaftlich-materiale Verhältnisse und Prozesse wirklich dazu führen, von dem emanzipatorischen Entwurf autonomer Subjekte Abstand zu nehmen?

Der Vortrag wird Cornelius Castoriadis‘ Konzeption subjektiver Autonomie als Perspektive vorstellen, welche einerseits die Erkenntnisse, die zur Verkündung des Tods des Subjekts geführt haben, aufnimmt; aber andererseits, gerade auf Grundlage dieser Erkenntnisse und über diese hinaus, einen anspruchsvollen und realistischen Subjekt- und Autonomieentwurf vorstellt, der sowohl die materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen subjektiver Autonomie mitdenkt, als auch die subjektiven Möglichkeiten der Befreiung, Überschreitung und Selbstbestimmung. Der Tod des Subjekts erscheint aus dieser Perspektive als nichts anderes denn der Abschied von der Vorstellung des Subjekts als ein vermeintlich unerschütterliches Fundament, das mit dem Tod Gottes den Abgrund, auf dem die menschlich-gesellschaftliche Welt existiert, verbergen sollte. Doch folgt aus diesen Einsichten keineswegs die Abkehr von der Vorstellung subjektiver Autonomie; erst im Angesicht der Fundamentlosigkeit wird eine wirkliche Autonomie des Subjekts möglich: weder selbstverständlich, unbedingt, noch transzendental – sondern als gesellschaftlich-historische Bewegung und Bedeutung; als Frage und als Entwurf.

 

II. Zur Kritik der Religionskritik – Fr, 11.7. um 18 Uhr

 

Moderation: Therese Herrmann (ffm)

 

An diesem Abend sollen zwei der bedeutendsten Ansätze der philosophischen Religionskritik des 19. Jahrhunderts vorgestellt werden – der von Ludwig Feuerbach und Karl Marx und der von Max Stirner und Friedrich Nietzsche. Beide Vorträge wollen sich jedoch in keinem bloßen Referat erschöpfen, sondern zugleich die Grenzen dieser Kritik aufzeigen. Muss angesichts der konkreten historischen Erfahrung des Umschlags von Aufklärung in Barbarei unter dem Banner atheistischer Ideologien womöglich auch die Religionskritik als Kernelement der Aufklärung hinterfragt werden? Oder ist eine weitere Radikalisierung derselben notwendig, ging die Kritik nur noch nicht weit genug?

 

Georg Spoo (Freiburg): Die rettende Religionskritik von Feuerbach und Marx

 

Bei dem Stichwort Religionskritik fällt meist der Name Ludwig Feuerbachs und die berühmte Wendung von der Religion als „Opium für das Volk“, die fälschlicherweise Karl Marx zugeschrieben wird. Es ist Anliegen dieses Vortrages, zu zeigen, dass die Kritiken von Feuerbach und Marx weitaus komplexer sind, als die religionskritische Verschlagwortung zunächst suggeriert.

Sowohl Feuerbach als auch Marx treten nicht an, um Religion einseitig der Unwahrheit zu bezichtigen. Vielmehr legt Feuerbach durch seine Religionskritik implizit ein Potential von Religion frei, das zum verschwiegenen Kern seiner eigenen Kritik der Religion wird. Auch Marx schließt an dieses Potential an und macht es zum versteckten Zentrum seiner materialistischen Religions-, und Idealismuskritik.

Für die beiden prominenten Religionskritiker gibt es eine Wahrheit der Religion, die in ihrer Kritik nicht verloren gehen darf. Dadurch lässt sich nicht nur die These vertreten, dass jede echte Kritik der Religion auch der Wahrheit von Religion Rechnung tragen muss, sondern auch, dass sich Religion erst in solcher Kritik wirklich bewahrheitet. Damit eröffnet sich ein komplexes Spannungsfeld von Religion und ihrer Kritik, in dem keine von beiden simplen Vorrang beanspruchen darf. Eine Religionskritik ohne Sinn für die Wahrheit der Religion geht an ihrem Gegenstand vorbei, sowie Religion ohne Kritik zum leeren Glauben wird.

 

Paul Stephan (ffm): Zweifelnde Ungläubige – Max Stirner und Friedrich Nietzsche

 

Stirners und Nietzsches Religionskritik steht im Zentrum ihres Denkens, sie vertreten ihrem Selbstverständnis nach einen kompromisslosen Atheismus, der sich bei ihnen zu einer grundlegenden Kritik an den Werten der abendländischen Kultur zuspitzt, insbesondere auch am Subjekt. Gleichzeitig enthält ihr Werk aber auch das Gegenteil: Auf der höchsten Spitze des Nihilismus eine Art Rückwendung zur Religion, eine Redefinition des Christentums.

Dieser Zweifel im Unglauben verweist auf ein tieferliegendes Problem abendländischer Kultur, das insbesondere Nietzsche so scharf wie niemand vor ihm thematisiert: Mit der Abkehr von ihrem religiösen Ausgangspunkt, dem „Tod Gottes“, droht diese Kultur ihr eigenes Fundament abzugraben und der völligen Sinnentleerung, dem Nihilismus, anheimzufallen. Ja, die Frage steht im Raum, ob eine gewisse Religiosität nicht die Grundlage menschlicher Kultur im Allgemeinen bildet und ob auch wir säkularistischen Skeptiker nicht noch immer religiös sind und sein müssen.

Es soll, im Rückgriff auf Stirner, Nietzsche und die Bibel selbst schlussendlich gezeigt werden, dass Religion, befreit von ihrer autoritär-traditionalistisch-moralistischen Vereinnahmung, nicht als Hindernis, sondern geradezu als Quelle der Kritik, des Widerstand und der Befreiung gesehen werden kann. Religion muss schließlich nicht als die Selbstaffirmation des sich autonom dünkenden Subjekts gedacht werden, sondern bietet ganz im Gegenteil die Möglichkeit, dass sich das Subjekt über seine Grenzen bewusst wird, sich produktiv-bejahend statt verneinend zu seinem Anderen verhält und somit transformiert.


 

Gedankt sei der Kriegkstraße 12 für das Bereitstellen der Lokalität, der Fachschaft 3 für die finanzielle Unterstützung des Drucks des Flyers, dem Projektrat der Uni Frankfurt für die Finanzierung der Reihe und (möglicherweise) dem großen Subjekt-Gott für das und alles andere.