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Thema der Narthex 6: Sahra Wagenknecht – Der Marx des 21. Jahrhunderts

Aufgrund der großzügigen Förderung eines anonymen Mäzens sind wir schon, bevor die Arbeit an der fünften Ausgabe der Narthex ganz abgeschlossen ist, in der Lage, einen ersten Einblick in die ebenfalls schon weit fortgeschrittene sechste Nummer zu geben. Wir sind stolz, dass dieses Mal ausnahmsweise kein toter weißer Mann, sondern eine quicklebendige weise Frau mit iranischen Wurzeln im Fokus stehen wird: Sahra Wagenknecht, die wir für die bedeutendste kritische Theoretikerin der Gegenwart halten.

Hier ein erster Einblick in die bislang feststehenden Artikel – weitere Anfragen wurden bereits gestellt.

Coverentwurf zum ersten Teilheft der Narthex 6.

Das Heft wird dieses Mal aus zwei jeweils etwa 120 Seiten starken Einzelnummern besten. Das erste Teilheft wird sich ganz Sahra Wagenknecht selbst widmen. Wir hatten die Gelegenheit, über mehrere Tage hinweg einen Dialog mit ihr zu führen, den wir in voller Länge abdrucken werden. Von Thales bis Meillassoux gehen wir gemeinsam mit ihr die gesamte Philosophiegeschichte durch und befragen sie zu ihrem Urteil zu den bedeutendsten Figuren. Sie gibt sich dabei als Kennerin nicht nur der europäischen Philosophie zu erkennen, sondern auch der arabischen. Ihre politische Theorie sei nicht nur stark von Marx und Hegel beeinflusst – im Hintergrund stehe stets die Metaphysik Avicennas. Um ihn besser zu verstehen, habe sie sogar angefangen, Arabisch zu lernen, und übe es fleißig mit einem Tandempartner, der aus Syrien geflüchtet ist. Sie plane ihren Rückzug aus der Politik, den sie u. a. dazu nutzen will, an einer anstehenden Neuübersetzung der Werke Avicennas mitzuwirken, deren oftmals sublimer gesellschaftskritischer Gehalt von den bisherigen Versuchen in diese Richtung oftmals unterschlagen werde. Noch wichtiger sei ihr jedoch, an ihrem magnum opus zu arbeiten, einer auf drei Bände angelegten Analyse des gegenwärtigen Gesellschaftssystems. Gebannt lauschten wir ihren oftmals mehrstündigen Monologen, die sich um sämtliche Grundfragen unserer Zeit drehten. Während sie in ihren bisherigen Schriften teilweise noch oberflächlich blieb, will sie ihre politischen Ansichten nun, wie sie selbst sagt, auf ein „metaphysisches Fundament stellen, dass eine Synthese aus Avicenna und einem von Marx belehrten Hegel“ darstellt. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Ansätze ihres bahnbrechenden Denksystems bereits jetzt vorwegzunehmen. Es sei hier nur so viel verraten: Es handelt sich um eine umfassende Neubegründung der kritischen Theorie, die auch die linke Praxis auf ein völlig neues Niveau zu heben verspricht. Fortan gilt mehr denn je: Mit Wagenknecht siegen – gegen Wagenknecht untergehen. Mit dieser Philosophie im Rücken trotzen wir, tapfer voranstürmend, Neoliberalismus, regressiver Linken und Neuer Rechten! Es kann nun keinen Raum für Abweichung mehr geben!

 

Im zweiten Teilband des Heftes werden wir dann – auch wenn sie im Grunde unnötig sind – einige erläuternde Kommentare zu Wagenknechts Überlegungen abdrucken. Wie gewohnt werden wir auch kritische Stimmen zulassen, solange sie eine gefestigte wagenknechtianische Grundhaltung erkennen lassen.

Ihr Gatte Oskar Lafontaine erklärte sich bereit, einen ersten – und für ein Debüt durchaus vorzeigbaren – philosophischen Artikel einzureichen: Die Philosophie der Saar. Der Lokalpatriot möchte darin aufzeigen, dass für ihn eine wahrhafte kritische Sozialphilosophie ein wenig dem Fluss seiner Heimat ähneln sollte: Nicht zu tief, nicht zu seicht; nicht zu schnell, nicht zu langsam; nicht zu glatt, nicht zu stürmisch. Eine derart gemäßigte Theorieproduktion, die ihre freundliche Verhaltenheit und Unangreifbarkeit auszeichnet, grenzt Lafontaine kritisch von Formen der rheinischen, der donauischen und der meerischen Theorie ab: Während der Rhein sinnbildlich für eine unvorsichtige, tendenziell ins Reaktionäre abgleitende Theorie stehe, sei die Donau Sinnbild einer Theorie, die überhaupt nicht mehr kritisch sei und in majestätischer Erhabenheit über die Welt hinwegströme. Meerischen Theorien schließlich seien viel zu unabwägbar, um für die heutige Zeit noch von irgendeiner Bedeutung zu sein. Einzig zur Ostsee verdampft könnte man sich meerischen Theorien vergangener Zeiten annähern, um ihr kritisches Potential vorsichtig auszuloten. Die Versaarung der kritischen Theorie sei die Losung der Zeit. – Wir haben uns gewundert, aus der Feder Lafontaines einen derart von Altersmilde geprägten Beitrag zu bekommen. Da wir jedoch auch keinen Einwand gegen ihn vorbringen können, da er einfach keinen provoziert, haben wir uns dennoch entschlossen, ihn abzudrucken. Vielleicht kann ja jemand etwas mit ihm anfangen. Unwahrscheinlich freilich, dass ein derart unkritisches Verständnis kritischer Theorie irgendwen interessieren oder gar begeistern könnte. Man müsse wieder „das Lob der Langeweile lernen“, so Lafontaine ganz explizit. Kaum etwas Anderes sei dafür geeigneter als ein längerer Aufenthalt in seinem Heimatland.

Nach einer langen Absenz konnten wir endlich wieder Achim Szepanski davon überzeugen, für uns einen Beitrag zu schreiben. Unter dem Titel Vom No zum Si. Grundlegende Revisionen verfasst er eine Apologie der Bejahung und der Positivität, die schließlich darin mündet, Deleuze und Laruelle als letztendlich heideggerianisch gebliebene Negativisten zu denunzieren und im Wagenknechtian turn die einzige Möglichkeit eines radikalen Denkens der heutigen Zeit zu erblicken. Wagenknechts Werke – deren versteckter Lacanismus ihm keinesfalls entgeht – unternähmen eine rhizomatisch-algorithmische Hyperaktualisierung der Aktualität, die es seit Latours Frühwerk in der Theorie so nicht mehr gegeben habe. In mit den Pendelbewegungen des mittleren Foucault vergleichbaren amorphen A-trapezierungen gelinge Wagenknecht eine Relektüre der Wissenschaft der Logik vor dem Hintergrund der 4. und 5. Kapitel des zweiten Bandes des Kapital. Ihre Politik sei die einzige, die sich radikaloppositionell zum gegenwärtig finanzdominierten Neoliberalismus verhalte und zugleich radikalphilosophisch fundiert sei.

Auch Thomas Seibert, bislang als einer der größten Kritiker Wagenknechts in Verruf geraten, stellt nun klar, dass es sich um ein peinliches Missverständnis handelte: In seinem Text Reuevoll mit dem Strom. Eine Selbstkritik beschreibt er detailliert, wie er von kippingianische Agenten gekauft und zu unsinnigen Äußerungen verleitet worden sei. Er habe gehofft, sie durch absurde Zuspitzungen wie diejenige, das Wagenknecht eine Rassistin sei, so zu gestalten, dass sie von rational denkenden Menschen eigentlich nicht ernst genommen werden könnten, doch leider habe er die Manipulierbarkeit der deutschen Linken durch solche demagogischen Schlagwörter unterschätzt. Er habe so federführend dazu beigetragen, eine unsägliche Mobbingkampagne gegen Wagenknecht zu initiieren, was ihm unendlich leidtue. Er habe sich vom schnöden Mammon verführen lassen und verhänge gegen sich selbst als Zeichen der Umkehr ein fünfjähriges Schreibverbot, das sich sogar auf Facebookposts erstrecke. Er sei selbst ein gutes Beispiel für die Wahrheit von Wagenknechts Gierkritik. Auch seine Beschäftigung bei medico international werde er aufgeben und sich fortan ganz seinem Privatleben widmen. Er empfiehlt allen verbliebenen Unterstützern Kippings, es ihm gleichzutun und endlich einzusehen, wer die einzige wahre Führerin des linken Kampfes in Deutschland sei.

Eine kleine Preview des Comics.

Ein Comic des Leipziger Künstlers Richard Stephan, getextet von Dieter Dehm, mit dem Titel Sahra – Schicksalsjahre einer Führerin. Eine wahre Heldengeschichte von heute zeichnet die aufopferungsvolle Lebensgeschichte Wagenknechts nach und zieht Parallelen zu derjenigen Marx’ und Lenins. Die einzige künstlerische Freiheit dieses ansonsten sehr dem (natürlich sozialistischen) Realismus verpflichteten Comic besteht darin, dass Wagenknecht als ‚Super-Sahra‘ auftritt, die gegen die Clique ihrer Schurkenfeinde, angeführt von Gamaschen-Gregor und Katzen-Katja, antritt. Mit Marx-, Hegel- und Ehrhard-Zitaten bewaffnet gelingt ihr endlich der Endsieg. Am Ende marschiert die Rote Armee erneut in Berlin ein und Sahra persönlich hisst das Banner der Arbeit auf dem Brandenburger Tor. Selbst Merkel-Maus und ihre gemeine Rattenbande kann sie nicht aufhalten. Der T 35 zerpflügt den märkischen Sand. – So sexy und unterhaltsam ist kritische Theorie selten gewesen.

Dank Mike Rottmann, Germanist an der Uni Halle, wird die kommende Ausgabe der Narthex einen besonderen philologischen Schatz beinhalten: Eine umfassend kommentierte und mit einer instruktiven Einleitung des Herausgebers versehene Edition des uns exklusiv zur Verfügung gestellten Briefwechsels zwischen Sahra Wagenknecht und Slavoj Žižek. Sie diskutieren überraschenderweise nicht so sehr zu Fragen der Politik und auch nicht der kritischen Theorie im engeren Sinne, sondern über Details der Texte Lacans. Dem einschlägigen Lacan-Experten gelingt es in seinem Kommentar virtuos, auch den noch nicht mit dem Paralleluniversum des Lacanschen Oeuvres vertrauten Leser den Dialog verständlich zu machen. Für ein wenig Entspannung sorgen die eher privaten Passagen des Austauschs, aus denen hervorgeht, dass es wohl eine Phase der nicht nur philosophischen Annäherung zwischen beiden gegeben haben dürfte. Der Briefwechsel endet dementsprechend mit einem wütenden Hassbrief Wagenknechts an Žižek, nachdem sie aus der Zeitung erfuhr, dass er sich bald mit dem brasilianischen Model Analia Hounie verheiraten werde. Seitdem herrscht Funkstille zwischen beiden. Gerüchten zufolge, die sie uns nicht bestätigen wollten, kam es jedoch kürzlich zu einer Wiederannäherung, die eventuell in einem gemeinsamen Buch über eine linkslacanianische Interpretation Goethes münden wird.

Peter Sloterdijk konnten wir davon überzeugen, einen längeren Artikel über die Bedeutung der Metapher des „Aufstehens“ einzureichen. Arbeitstitel: Du musst aufstehen. Zur Kritik der schlafenden Vernunft. Sloterdijk will darin in einem Rundgang durch die abendländische Geschichte aufzeigen, wie essentiell Bewegungen des Aufstehens für ihre Entwicklung gewesen sind: Sei es das Aufstehen des toten Jesu, Luthers „Hier stehe ich und kann nicht anders“ oder Wagenknechts verweigertes Aufstehen bei der Rede von Schimon Peres im deutschen Bundestag. Immer wieder sei das Aufstehen eine mutige Geste der Entscheidung und des Widerstands gewesen, habe den Frühaufstehern die Welt gehört. Sloterdijk grenzt sie insbesondere von Adornos Utopie des Verharrens in der Horizontalen ab, die gerade zur Auflösung aller Horizonte führe, zu deren Aufrichtung es einer vertikalen Haltung bedürfe: der stolz geschwellten Brust, des aufrechten Ganges, von dem Nietzsche spricht. Besonders kritisch beäugt Sloterdijk freilich die sitzend-schlafende Vernunft des die Philosophie heimsuchenden Sitzungswesens: die Tagung sei schon lange zur Nachtung geworden, aus der nur allzu oft eine denkerische Um–nachtung folge. Man könnte fast meinen, Sloterdijk habe eine kritische Replik auf Lafontaines Beitrag schreiben wollen.

In einem Dialog treten sich zwei intellektuelle Vertreter rechter und linker Ideale gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten: der Honneth-Schüler Daniel Loick und der der Mohler-Schule entstammende Götz Kubitschek. Ausgehend von einem geteilten Interesse an den Theorien Wagenknechts diskutieren die beiden kontrovers zu Themen wie Privateigentum, Recht, staatliche Strafapparate, Rassismus sowie der Rolle des Judentums für die europäische Kultur. Während sie sich in allen anderen Punkten gänzlich uneinig sind, stellen sie im Verlauf des Gesprächs doch eine Gemeinsamkeit fest: ihre Leidenschaft für das Go-Spiel. Da sie auf diesem Gebiet beide derart fortgeschritten sind, dass sie es schwer haben, noch ebenbürtige Gegner zu finden, wollen sie sich künftig abwechselnd in Frankfurt am Main und in Schnellroda treffen, um diesem Hobby zu frönen. Wie wir erfahren haben, ist aus diesen gemeinsamen Treffen sogar schon die Idee entstanden, ein gemeinsames Buch mit dem Titel Philosophie des Go zu verfassen, in dem Loick das Spiel als queere Praxis der Subversion analysiert, Kubitschek hingegen als Jüngerschen Partisanenkampf. Unklar ist noch, in welchem Verlag dieses bemerkenswerte Buch wird erscheinen können: Während Loick ungern im Antaios-Verlag publizieren will, ist Kubitschek der von Loick präferierte August-Verlag suspekt. Womöglich ist das Grund genug für uns, erstmals als Verleger in Erscheinung zu treten.

Auch Paul Stephan wird wieder einen querdenkerischen Essay beisteuern mit dem Titel Die Geburt des Wagenknechtianismus aus dem Geist des Zarathustra, in dem er aufzeigt, dass Wagenknechts als einzige authentische Vertreterin eines gegenwartstauglichen Links–Nietzscheanismus betrachtet werden kann. Ihr Programm sei als Versuch zu werten, eine „große Politik“ im Sinne Nietzsches zu realisieren. Sie repräsentiere in der Politik dasjenige, was Karl Lagerfeld in der Mode dargestellt habe: Mut zu Freigeistigkeit und Exzellenz, der auch immer wieder das Ressentiment derjenigen, die nichts drauf haben, auf den Plan rufe. Dazu passe der notwendig tragische Charakter ihrer Politik. Wie der Heros der antiken Tragödie habe sich Wagenknecht notwendig opfern müssen, um den grundsätzlich schwarzen Charakter des Daseins zu bezeugen. Der Text endet in einem nur schwer lesbaren pathetischen Hymnus auf Wagenknechts übermenschliche Größe, gespickt mit polemischen Seitenhieben auf die als Linksneoliberale, Stalinisten, Linksfaschisten, Narzissten und Psychopathen bezeichneten ehemaligen Mitglieder der Narthex-Redaktion, der im Augenblick außer Mike Rottmann und Paul Heinrich Widemann nur noch er selbst angehört. Sein Fazit: „Nur Sahra Wagenknecht kann uns noch retten.“

Erste Idee für das Titelblatt des zweiten Teilhefts. Adorno und Nietzsche fehlen natürlich noch.

In einem ausführlichen Gutachten vergleicht Antisemitismus-Experte Tim Ohlig, Psychologe aus Frankfurt am Main, das toxische Potential Wagenknechts, die ohne Zweifel in ihren Schriften ab und an antisemitische Diskurseme bediene, mit demjenigen Katja Kippings und kommt zu dem erstaunlichen Fazit, dass von letzterer die größere Gefahr für die antifaschistische Reinheit Deutschlands ausgehe. Eine für Laien nur schwer nachvollziehbare, jedoch von der wissenschaftlichen Autorität Ohligs beglaubigte, quantitative Tiefenanalyse der Reden und Schriften Kippings ergäbe jedoch in dem Gebrauch der Satzzeichen eine fast 95 %ige Übereinstimmung mit antisemitischen Hetzschriften wie Hitlers Mein Kampf, den Protokollen der Weisen von Zion, Heideggers Sein und Zeit und dem Forderungskatalog der französischen Gelbwesten. Während Wagenknecht mithin nur als relativ harmlose 1/6-Antisemitin zu charakterisieren sei, gehe von der 5/7-Antisemitin Kipping und ihrer Anhängerschaft gerade vermittels der perfiden Subtilität ihres Antisemitismus eine erhebliche Gefahr für alle Juden in diesem Land aus. Es sei daher insbesondere geboten, Wissenschaftler*innen und Studierende, die Kipping-Anhänger sind oder erwiesenermaßen mehr als drei Aufsätze von Kipping gelesen habe (Ohlig nimmt sich hier selbst aus, da er keinen einzigen Text von Kipping gelesen, sondern sie nur in ein Software-Tool eingespeist habe), zu erfassen und, versehen mit Name, Photo und Privatadresse, in Listen an allen Campus des Landes auszuhängen. Die dort veröffentlichten Personen sollen zwar nicht aus der Universität verbannt werden, doch strengsten Maßregeln unterworfen werden: Wissenschaftlicher*innen sollen nicht mehr unterrichten und nur noch Aufsätze ohne Satzzeichen veröffentlichen dürfen, um keine antisemitischen Codes verbreiten zu können. Gespräche mit ihnen sind auf ein Minimum zu beschränken, insbesondere jeglicher Körperkontakt ist zu vermeiden. Sowohl Studierende als auch Wissenschaftlicher*innen mit Kipping-Affinität sollen deutlich sichtbare mit einem „K“ versehene Armbinden tragen. In Lehrveranstaltungen dürfen sich Kipping-affizierte Studierende nicht zu Wort melden und müssen einen Sicherheitsabstand von 2,38 m zu allen anderen Kommiliton*innen einhalten. Jüdische und andere von antisemitischen Denkweisen betroffene Studierende sollen jedoch das Recht haben, ihren Ausschluss aus Lehrveranstaltungen zu verlangen.

Aus dem Russischen übersetzen wir erstmals den klassischen Aufsatz Was nicht tun? aus der Feder des Starphilosophen Igor Wladimir Khamenins, Professor für politische Philosophie an der Dostojewski-Universität Moskau. Er argumentiert darin überzeugend für die wichtige Rolle, die starke Führungspersönlichkeiten für die Politik spielen sollten. Anhand der russischen Geschichte zeigt er auf, wie es stets mutige Einzelpersönlichkeiten gewesen seien, die die Nation vor dem Untergang bewahrt und zu einer Prosperität geführt hätten. In einem extra für die deutsche Übersetzung geschriebenen Vorwort gibt er zu, dass Katharina die Große eine zu geringe Rolle in seinem ursprünglichen Text spiele und es auch Führerinnen sein können, die die Rolle des Retters der Nation einnehmen. Dies sei insbesondere für westliche Staaten wie Großbritannien – er verweist hier auf die segensreiche Ägiden Elisabeths und Viktorias –, Frankreich und Deutschland ein naheliegender Weg aufgrund der traditionellen Verweiblichung dieser Staaten im Vergleich zur slawischen Maskulinität. Alexander der Große, Napoleon und Hitler demonstrierten zudem hinreichend, dass es westlichen Staaten nicht gut tue, sich männlichen Führern zu beugen. Westliche Feminität und östliche Virilität sollen ein neues Bündnis zwischen Geist und Gas, Schönheit und Stärke, Anmut und Abenteurertum schmieden, vereint vom Glauben an die Freude der absoluten Hingabe an das Große bzw. eben den Großen, die Große und das große spielende Kind (Nietzsche lässt erneut grüßen). Man müsse allerdings darauf achten, sich nicht von der falschen Frau verführen zu lassen!

Andreas Urs Sommer, Professor der Universität Freiburg, Nietzsche-Forscher und Experte für ungeschriebene philosophische Werke, wird in seinem Beitrag Wagenknechts posthum veröffentlichte Autobiographie Bekenntnisse einer Materialistin untersuchen und mit Klassikern des Genres der philosophischen Autobiographie wie Nietzsches Ecce homo, Augustinus’ und Rousseaus Bekenntnissen sowie natürlich Malwida von Meysenbugs Bekenntnissen einer Idealistin und Goethes Dichtung und Wahrheit vergleichen. Entscheidend sei auch die Parallelität zu Avicennas Beichte eines Gerechten, in der er schonungslos die Ungerechtigkeit der damaligen Gesellschaft aufdeckt und sich darüber beklagt, wie ihm von seinen Feinden fälschlicherweise aufgrund aus dem Kontext gerissener Äußerungen Häresie vorgeworfen wurde.

Wagenknechts Schrift sei philosophiehistorisch von besonderer Relevanz, da hier 1) erstmals eine Philosophin ähnlich wie Rousseau selbst noch über die privatesten Aspekte ihrer Biographie berichte (was einer der Hauptgründe für den großen Verkaufserfolg des Buches sein dürfte, mutmaßt Sommer – die voyeuristischen Fans der langjährigen Generalsekretärin der Sozialistischen Einheitspartei Europas dürften jedoch enttäuscht sein, da Wagenknechts Intimleben vergleichsweise bieder ausfalle, ihre größte ‚Perversion‘ sei eben doch die Philosophie gewesen) und 2) die Hauptprotagonistin des ersten erfolgreichen Versuchs der Errichtung eines platonischen Philosophenstaats auf Erden – der Union der Europäischen Räterepubliken (UERR) – verrate, wie ihr die Lösung des klassischen Paradoxes, dass es des Philosophenstaats bedürfe, um die Menschen aus ihrer Verblendung zu befreien, es jedoch der Aufhebung der Verblendung bedürfe, um einen Philosophenstaat zu errichten, in jahrzehntelanger Mühe gelungen sei. Sommer gibt jedoch 1) zu bedenken, ob Wagenknechts Bericht überhaupt authentisch sei, da insbesondere die Passagen über ihre Nachfolgerin Fara Meyer-Sharif durchweg lobend seien, obwohl bekannt sei, dass sich Wagenknecht in ihren letzten Regierungsjahren sehr kritischen zur strikten Abschottungspolitik ihres politischen Zöglings gegenüber Flüchtlingen aus den USA geäußert habe und die in Fragmente der Partnerinnen und Partner von Philosophen veröffentlichten Briefe ihres dritten Mannes Mohammed Wagenknecht-Nasser ein ganz anderes Bild von ihren letzten Lebensjahren zeichneten, 2) ob Wagenknechts ‚Philosophenstaat‘ nicht zeige, wie wahnwitzig Platons Projekt von vorneherein gewesen sei. Zwar seien die UERR einer der wohlhabendsten Staaten der Welt, doch grundlegende Menschrechte wie Meinungsfreiheit und vor allem die Freiheit der Wissenschaft hätten in den letzten Jahren erhebliche Einschränkungen erlitten. – Leider gehört dieser Essay Sommers zu den zwar nicht ungeschriebenen, jedoch unvollendeten philosophischen Werken, da sein Autor kurz vor seiner Fertigstellung tot an seinem Schreibtisch aufgefunden wurde. Der auch noch im hohen Alter noch kerngesunde Denker erlitt einen plötzlichen Herzstillstand. Das Manuskript des Textes ging zudem verloren, da seine Festplatte unter nicht minder ominösen Umständen einen Totalschaden erlitt. Immerhin wird dieser Essay und die anderen verschollenen Schriften Sommers so Einzug in das von seinen Schülern Hans-Peter Anschütz, Mike Rottmann und Paul Stephan um eben jene nicht ungeschriebenen, jedoch unwiederbringlich verlorengegangenen Werke erweiterte, neu edierte Lexikon der imaginären philosophischen Werke erhalten können und die Nachwelt so dennoch über das Wesentliche ihres Inhalts unterrichtet werden.

 

Der dieses Mal mit einem Geldpreis von 10.000 € dotiert Eos-Preis für philosophische Essayistik widmet sich der Frage: „Warum ist Sahra Wagenknecht die bedeutendste kritische Theoretikerin der Gegenwart?“ Alle halbwegs überzeugenden Einsendungen erhalten dieses Mal einen Trostpreis in Form einer Flasche feinsten russischen Wodka, der den Geist beflügeln soll. Einsendeschluss ist 1. 4. 2020. Dem Datum zum Trotz werden wir – auch wenn wir Freunde gelungener Aprilscherze sind – nur ernsthafte Einsendungen berücksichtigen.

 

Nastarowje!

 

Quellenangabe zu den verwendeten Bildern (sofern vom Urheber verlangt):

Kipping & Riexinger (modifiziert): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Katja_Kipping_und_Bernd_Riexinger._Leipzig_2018_(cropped).jpg

Sahra Wagenknecht 1 (modifiziert): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sahra_Wagenknecht_Die_Linke_Wahlparty_2013_(DerHexer)_02.jpg

Sahra Wagenknecht 2 (modfiziert): https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:2014-09-11_-_Sahra_Wagenknecht_MdB_-_8294.jpg

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