Die „Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie“ lädt zu drei neuen Vorträgen im Jahr 2015 ein, die mehr oder weniger lose an die Themen des letzten Jahres (Religions- und Subjektkritik) anknüpfen werden.
Gefördert werden wir vom studentischen Projektrat und der Fachschaft 3 der Uni Frankfurt.
Die Vorträge werden diesmal in den Räumlichkeiten des SIKS e. V. (Koblenzer Straße 9, ffm) stattfinden:
Mi, 21. 1., 19 Uhr: Achim Szepanski: DARK DELEUZE: Subjektivierung als Falle
Mi, 4. 2., 19 Uhr: Matthias Steingass: Der Spekulative Non-Buddhismus, eine Antwort auf den Kitsch des Erleuchteten [& Release der ersten Ausgabe von „Narthex. Heft für radikales Denken“]
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Mi, 21. 1., 19 Uhr:
Achim Szepanski:
DARK DELEUZE
Subjektivierung als Falle
Deleuze ist für sein Bekenntnis zur freudvollen Affirmation und für seine Abneigung gegenüber den Ressentiments der Negativität bekannt. Um Deleuze herum wurde in den letzten Jahrzehnten geradezu ein Kanon der Freude erschaffen, ein Kosmos aus Gefügen, die durch unendliche Prozesse der Differentation erzeugt werden: Deleuzes univokes Sein, das von unendlichen Multiplizitäten bewohnt ist. Es gibt aber auch einen schwarzen Deleuze zu entdecken, einen revolutionären Deleuze, der eine neue Farbutopie erschafft, die sich in einem generischen schwarzen Universum aufhält. Dieser erneuerte Deleuze erzeugt einen Gegen-Kanon, in den sich die generischen Wissenschaften als negative Science-Fiction einschreiben. In diesem Kontext soll die Frage der Subjektivierung bei Deleuze/Guattari neu diskutiert werden.
Die heutigen neoliberalen Governancetechniken schließen das Individuelle und das Dividuelle zusammen. Dazu bedarf es einer spezifischen Subjektivitätsproduktion, die Guattari in seinem Buch Chaosmose durch drei Komponenten bestimmt: a) signifikante semiologische Systeme (Familie, Schule, Kunst, Popindustrie, Sport etc.), b) Mediensystem und Kino, c) asignifikante Semiotiken, die nicht mit der linguistischen Axiomatik übereinstimmen. In den Prozessen der sozialen Unterwerfung kommt es zur Produktion eines Subjekts, nämlich des linguistischen Subjekts der aktiven Äußerung und der passiven Aussage. Die Konstitution des linguistischen Austauschs und der distinkte Sprecher werden hier als koextensiv zur Konstitution des ökonomischen Austauschs und dessen rationalen Agenten dargestellt. Solcherlei Formen der Subjektivierung erlauben dem Kapitalismus die Etablierung verschiedener molarer Hierarchien, Mensch und Natur, Mann und Frau, Kind und Erwachsener, Arbeiter und Kapitalist etc.
Bleibt das Individuum im Kontext sozialer Unterwerfung auf externe Objekt-Maschinen angewiesen, so braucht man sich bezüglich der maschinischen Indienstnahme, die Deleuze/Guattari als eine differente und doch hinsichtlich der sozialen Unterwerfung komplementäre Logik der Subjektivierung einführen, hingegen nicht länger um die Dualismen zu kümmern. Es ist jetzt dringend angeraten, anstatt von Individuen von Dividuen zu sprechen, die ganz der Maschine benachbart sind, vielmehr noch, die Dividuen bilden mit der Maschine ein maschinelles Agencement, sie sind zuweilen austauschbare Teile der Produktion, Konsumtion und Zirkulation, ja sie sind in deren Prozesse vollständig integriert. Hierzu aktiviert die maschinische Indienstnahme sowohl die prä-personalen, prä-kognitiven und prä-verbalen (Perzeption, Sinne, Affekte, Wunsch) als auch die supra-personalen Kräfte (maschinisch, linguistisch, medial, ökonomisch). Allerdings finden sich heute die Dividuen zunehmend an die Peripherie der technischen Systeme gedrängt. Die maschinische Indienstnahme muss stets auf asignifikante Semiotiken (Algorithmen, Diagramme, Pläne, Schemata, Indizes, Gleichungen) zurückgreifen, die nicht in erster Linie das Bewusstsein oder die Repräsentation involvieren und deshalb auch kein Subjekt als Referenten haben. Nur allzu offensichtlich ist es, dass die Arbeiter heute nicht mehr an den Fabrikkörper angekettet sind, vielmehr tragen die prekären Angestellten ihre Ketten in Gestalt von Laptops, Smartphones und Tablets mit sich herum.
Achim Szepanski ist Musiker, Techno-Produzent, Autor und Theoretiker und lebt in Frankfurt am Main. Er betrieb u. a. das Label Mille Plateaux, veröffentliche eine Roman-Trilogie und zuletzt die ersten beiden Bände des dreibändigen Werks Kapitalisierung (Laika-Verlag), in dem er (u.a.) anhand von Marx, Deleuze/Guattari und Laruelle zentrale theoretische Konzepte zum Verständnis des gegenwärtigen finanzdominierten Kapitalismus entwickelt.
Link zu einer umfangreichen Rezension seines Buches Kapitalisierung
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Mi, 4. 2., 19 Uhr:
Matthias Steingass:
Der Spekulative Non-Buddhismus,
eine Antwort auf den Kitsch des Erleuchteten
Slavoj Žižek bringt in einem seiner Texte die buddhistische Erleuchtung folgendermaßen auf den Punkt: Wenn wir, nachdem wir die buddhistische Erleuchtung erreicht hätten – die vollständige Loslösung von der materiellen Realität –, uns auf den Sexualakt einlassen würden, dann würden wir in unserer Entrücktheit diesen Akt erleben wie wenn ein Vibrator in eine künstliche Vagina gesteckt würde, um dann dort angeschaltet zu werden. Die sexuelle Erfahrung des Erleuchteten entspräche der des Beobachters des Wechselspiels der beiden Sexspielzeuge. Verallgemeinernd kommt Žižek dann zu dem Schluss, der Buddhismus sei solcherart, als entrückte Erleuchtung, das perfekte ideologische Supplement des Kapitalismus. Er trifft den Nagel damit auf den Kopf. Buddhismus heute ist eine Übung des völlig entspannten Gleitens durch eine neoliberale Ökonomie und der indifferenten Betrachtung ihrer Erscheinungen. Der Spekulative Non-Buddhismus ist eine Antwort auf diese Indifferenz und stellt im Wesentlichen die Frage, ob im heutigen Buddhismus, wie auch in seinen historischen Vorläufern, irgendetwas zu finden ist, was über eine klaglose Akzeptanz der Gegenwart hinausweist.
Doch wie konnte es kommen, dass der Buddhismus, als Produkt der Indologie des 19. Jahrhunderts, heute eine Art innere Emigration darstellt? Um diese Frage ansatzweise zu beantworten, werden wir kurz die europäische Buddhismusrezeption durchgehen. Buddhismus war bis ins 19. Jahrhundert negative konnotiert und erfuhr erst mit Schelling und Hegel erste positive Deutungen. Ganz besonders jedoch mit Schopenhauer wurde der Buddhismus zu einer Philosophie, die der europäischen gleichrangig schien. Schon bei Schopenhauer aber finden wir Ansätze einer Auffassung, die den Buddhismus mit einem „inneren Frieden“ assoziiert, der höher ist als alle Vernunft, eine „tiefe unerschütterliche Zuversicht“, die wie ein „Evangelium“ wirkt. Von diesem „Stempel innerer Wahrheit“ ausgehend, zieht sich bis heute ein roter Faden durch den Buddhismus im Westen, der fast vollständig auf das abzielt, was Žižek so pointiert beschreibt.
Der Spekulative Non-Buddhismus verweigert sich der Affirmation der Verhältnisse durch den zeitgenössischen Buddhismus. In seiner Analyse bezieht er sich zunächst auf François Laruelle und das was dieser Entscheidung oder Dezision nennt. Es wird nötig sein, eine kurze Darstellung der generellen Struktur der Entscheidung zu geben. Mit Blick auf diese Struktur kommt der Spekulative Non-Buddhismus zu der Auffassung, dass ausnahmslos alle heutigen Buddhismen lediglich Varianten dieser Struktur sind. Es handelt sich ausnahmslos um das, was Laruelle Autopositionierung nennt – Selbstermächtigungen über ideologischer Konstrukte, die mittels affektiver Aufladung materialisiert werden.
Der Spekulative Non-Buddhismus fragt dann – im Sinne Laruelles –, ob es im Buddhismus Material gibt, welches zu einer Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse beitragen kann. In dieser Hinsicht werden einige Ansätze vorgestellt, die sich aus der bisherigen Arbeit ergeben haben. Ausgehend vom Gotamischen Kalkül ist dabei zu fragen, ob nicht bestimmte Begriffe buddhistischer Philosophie einen völlig anderen Bahnverlauf fordern, als den der sich im Buddhismus als perfektem ideologischen Supplement des Kapitalismus zeigt. Es ist zu fragen, ob Konzepte wie anatta (symbolische Identität), suññatā (Nullheit) oder paticcasamuppāda (Kontingenz) überhaupt in irgendeiner Weise mit einer „inneren Wahrheit“ à la Schopenhauer verträglich sind oder ob es sich hier nicht um Gedanken über den Menschen handelt, die dem Subjekt seine überaus ephemere Existenz deutlichen machen. Eine Existenz in der selbst die Erfahrung eine kontingente Kategorie ist – womit jeglichem Buddhismus heute die Existenzgrundlage entzogen wäre. Weiter ist zu fragen, welche Handlungs-Konsequenzen sich hier ergeben oder sogar aufdrängen.
Abschließend wäre zu fragen, ob solcherart betrachtet, vom Buddhismus überhaupt etwas bleibt? Von einem Buddhismus als Konstrukt des Abendlandes, der in seinen Strukturen eben nur wieder diese Abendland repräsentiert, während ein Denken in Sinne Laruelles auch diese Material möglicherweise in völlig neues Licht taucht. In ein Licht in dem Eins-durch-den-Menschen scheint, wie Laruelle es ausdrückt. Eins, das die Realität in letzter Instanz determiniert. Aus einer Schwärze heraus, die jeglichen Rückschluss auf dieses Reale Eins unmöglich macht. Man kann nur entlang dieses Realen denken. Jeglicher Buddhismus, wie alle Philosophie, bleibt auf der Strecke, wenn das Denken als Anmaßung über das Reale auftritt, anstatt sein Ausdruck zu sein.
Matthias Steingass hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem (westlichen) Buddhismus einerseits, mit der „Non-Philosophie“ Laruelles andererseits befasst. Mehr zum Konzept des „Non-Buddhismus“ erfährt man auf seinem Blog. Daneben schreibt er auch für den Blog der HARP.
An diesem Abend wird außerdem der Release der ersten Ausgabe der Broschüre der HARP, Narthex. Heft für radikales Denken, stattfinden.
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Sa, 14. 2., 18 Uhr:
Micha Böhme
Von Lust & Gefahr, sich im Anderen zu verlieren
Ein Vortrag über die regressive Wiederkunft des Riechens im Antisemitismus
Ein Element des Antisemitismus ist das Zurückschlagen der unterjochten Natur, wenn sich nicht auf die Folgen des Zivilisationsprozesses besonnen wird. Derjenige Wahrnehmungssinn, der uns am stärksten mit der tierischen Natur verbindet, ist der Riechsinn. Er ist nicht nur der evolutionär gesehen älteste Wahrnehmungssinn überhaupt, er ist zugleich auch derjenige, dessen Effekte auf die Stimmung und sogar auf Gedanken und Erinnerungen sich zumeist einer bewussten Kontrolle durch das Subjekt entziehen. Und das, obgleich der Mensch (nebst seiner engsten tierischen Verwandten) zumindest von seiner Naturanlage her eine relative Freiheit gegenüber durch Gerüchen ausgelösten stereotypen Verhaltensregulierung aufweist, die in der übrigen Tierwelt das soziale Miteinander von Wesen einer Art determinierend regeln. Nicht Pheromone steuern menschliches Zusammenleben. Wie wird diese naturbedingte Unbedingtheit genutzt?
Horkheimer und Adorno verfassen mit der Dialektik der Aufklärung eine kritische Geschichte menschlicher Zivilisation. Während Aufklärung Glück für alle bringen sollte, strahlt die Erde mit dem Sieg der Aufklärung im „triumphalen Unheil“. Alles was an Natur und Tier im Menschen gemahnt war der Aufklärung verdächtig. Die kalte Sonne der Vernunft sollte über der Menschheit strahlen. Das Sinnliche wurde unterworfen und reglementiert – insbesondere das Sehen der Vernunft unterworfen. Wie verhält sich dazu nun das Riechen? Spricht Kant in der Kritik der reinen Vernunft von der Schematisierung und Kategorisierung des Sinnlichen hin zu vernünftiger Erkenntnis, so ist dabei wohl kaum an Gerüche zu denken – auch widersprechen sie ohnehin dem kantischen Postulat der Schematisierung des Sinnlichen in Raum und Zeit schon vor der kategorialen Verarbeitung. Dass das Subjekt, um identisch zu sein, das Naturhafte austilgte, dürfte sich sich in besonderer Weise am Riechen darlegen lassen. Vor diesem Hintergrund wäre die Dialektik der Aufklärung im Fokus des Riechens zu lesen. Das betrifft auch die Konzeption einer möglichen Befreiung der Menschheit von Herrschaft und Ausbeutung. In diesem Sinne sprechen Horkheimer und Adorno von der Notwendigkeit eines „Eingedenkens der Natur im Subjekt“. Der Mensch soll Subjekt sein können, ohne seine Natur, ohne seine Triebe unterdrücken zu müssen.
Anhand einer Interpretation der Irrfahrt des Odysseus auf dem ägäischen Meere beschreiben Horkheimer und Adorno die Konfrontation des werdenden Subjekts mit den Gewalten und Verlockungen der Natur. Die Gefährten des Odysseus werden in Hausschweine verwandelt, weil sie nicht Mannes genug waren, den Verlockungen des Sinnlichen zu widerstehen. Das mit seiner Nase im Schlamm wühlende Schwein ist nun allerdings Sinnbild des riechenden Wesens. Es muss eine Sehnsucht nach dem unreglementierten Schnüffeln geben, das sich die zivilisierten Menschen versagen müssen.
Am Ende ihres Siegeszugs durch die Geschichte der Menschheit schlägt die Aufklärung in Mythologie zurück. Im Faschismus werden die unterdrückten Gelüste der Menschheit wieder zugelassen. Aber im Dienste der Herrschaft. Und das trifft nun in besonders starkem Ausmaß das Riechen. Am deutschen Antisemitismus wird die kulturhistorische Bedeutung des Riechens in drastischer Weise offenbar. Die Antisemiten erlauben sich das verpönte Riechen – allerdings um es vollends auszumerzen. Das Riechen, einst zu Zwecken der Unterdrückung verdrängt, wird wieder zugelassen im Dienste der Unterdrückung. Den Juden wird unterstellt, das zu tun, was sich die „zivilisierten“ Menschen stets und ständig zu versagen haben: nach Herzenslust zu schnüffeln. Die Antisemiten imitieren das Schnüffeln der Juden und betätigen sich selbst als Schnüffelnde um die angeblich stinkenden Juden aufzuspüren. Auch aktuelle antizionistische Karikaturen „spielen“ mit dem Stereotyp vom aktiv schnüffelnden oder passiv riechenden Juden. Dabei wird die auf Ausschaltung des Riechens gegründete Herrschaft ein weiteres Mal zementiert. An dem Punkt, an dem diese Herrschaft nicht mehr nötig wäre, wird sie mit Gewalt zusammen- und aufrechterhalten.
Micha Böhme ist Theoretikerin und lebt und arbeitet in Leipzig. Die Verbindung von Psychoanalyse und kritischer Theorie der Gesellschaft gehört zu ihren Arbeitsschwerpunkten.
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[…] Näheres dazu, auch zu den anderen Vorträgen, auf der Seite der HARP. […]
[…] rather quite here, there are some interesting things going on at my place. I am busy with preparing a presentation of the Non-Buddhist project in Frankfurt on Feb 4th. Another important development in Frankfurt is the establishment of a group of people around the […]
[…] offiziellen Release der Zeitschrift wollen wir am 4. 2. in Verbindung mit dem Vortrag von Matthias Steingass über Non-Buddhismus […]
[…] Mitschnitte der Vorträge Dark Deleuze: Subjektivierung als Falle von Achim Szepanski am 21. 1. und Der Spekulative Non-Buddhismus, eine Antwort auf den Kitsch des […]