Die offizielle Stellungnahme der Redaktion der Narthex zum Votum des Conne Island-Plenums, dass die von ihr eingeladene Band Nietzsche and the Wagners nicht wie geplant bei der Gala zu ihrem 5. Geburtstag auftreten durfte. Sie erscheint ebenso in der April-Ausgabe des Newsflyers des Conne Island.
Offenbar haben Nietzsche and the Wagners einen empfindlichen Punkt getroffen, denn seit fast zwei Jahren werden sie von linken Läden in Leipzig immer wieder ausgeladen. Die Geschichte begann mit dem Atari begim Oktober 2017, als ihr dort geplanter Auftritt kurz vorher abgesagt worden ist und der Laden einen längeren Begründungstext auf seine Website stellte.[1]http://bildet-laeden.de/1835/unser-statement-zur-konzertabsage-fur-nietzsche-and-the-wagners/Weitere Absagen und sogar Gewaltandrohungen folgten laut einer Stellungnahme der Band.[2]https://www.facebook.com/events/355641368372798/?active_tab=discussion Anlässlich des fünften Geburtstags der HARP, auf dem die Band spielen sollte, wurde die Band auch vom Conne Island-Plenum ausgeladen. Dabei schien der Fall geklärt, als das Plenum im direkten Gespräch mit der Band seine Bedenken aufgab und den Auftritt erlaubte – allerdings nur, um ihn kurz darauf wenige Tage vor der Veranstaltung wieder abzusagen. Ein Auftritt, den das Plenum nicht organisiert hat, und bei dem das Conne Island nicht als Veranstalter fungiert. Begründung war, dass genau zu diesem Zeitpunkt seitens des Atari publik gemacht wurde, dass die Band eine Anzeige gegen den Laden erstattet hatte, weil der Text aus ihrer Sicht juristisch fragwürdig gewesen sei – eine Sichtweise, die die ermittelnde Staatsanwaltschaft nicht teilte. Auch wir meinen, dass es von der Band nicht gerade klug war, diesen Schritt zu gehen – einen Grund für eine Ausladung hätten wir darin jedoch nicht gesehen: Es muss in Ordnung sein, sich gegen Verleumdungen zur Wehr zu setzen, die einem schaden, auch mit juristischen Mitteln und auch, wenn es gegen einen linken Laden geht. Zumal es auch bei diesem Punkt nicht um die Musik der Band ging, sondern nur ihr Verhalten: das auch in diesem Fall nicht auf eine rechte Gesinnung schließen lässt, sondern nur um die Sorge darum, dass das Image der Band Schaden erleidet, wenn sie öffentlich in einem eher suggerierenden als argumentierenden Text als ‚rechtsoffen‘ bezeichnet wird.
Was fürchten denn Conne Island und Atari zu verlieren, wenn Nietzsche and the Wagners spielen?
Die naheliegende Vermutung wäre ja, dass es sich um eine Naziband handelt. Das hat aber nicht nur die Band dementiert, auch das Atari-Plenum hat sie in ihrem Statement von dieser Beschuldigung ausgenommen. Trotzdem ist das Bedürfnis sehr groß sich nach Rechts hin abzugrenzen, sogar wenn man sich dafür einen Feind erfinden muss. Das Problem besteht eigentlich nicht zwischen den Musikern und den linken Läden, sondern in der Einstellung der Linken zu einem Genre: Neofolk und damit unweigerlich zur Gruppe ‚Death in June‘. DIJ ist unter ihrem Mastermind Douglas P. selbst aus dem linken Milieu und der Punkband ‚Crisis‘ hervorgegangen. Sie positioniert sich mittlerweile eindeutig im rechten Spektrum mit einem Kult um Ernst Röhm und Charles Manson oder der Verwendung von SS-Totenkopf und der Schwarzen Sonne.
Aus einem linken Selbstverständnis heraus ist Death in June auf den ersten Blick klar abzulehnen. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch einige Ambivalenzen. Zum einen ist es taktisch nicht so einfach DIJ zu kritisieren. Anders als Landser und Störkraft tritt Douglas P. nicht als vulgärer Skinhead auf, der Nazipropaganda mit Gitarre untermalt. Sein Auftreten vereinigt Widersprüche, nicht nur zum stereotypen Nazi, sondern auch zu Teilen seiner eigenen öffentlichen Persona und ihren Konnotationen, die in einem postmodernen Spiel selbst zum Stilmittel avancieren. Er ist gebildet, homosexuell und nicht offensichtlich in politischen Gruppen aktiv, sodass der übliche Rundumschlag gegen Rechts nicht so hart trifft, wie es gewollt ist. Der SS-Totenkopf ist mit der positiven SA-Emphase unvereinbar und hinter dem Schwarzsonnensticker ist die Gayflag zu sehen. Ein leichtsinniger Kritiker kann da in einer Auseinandersetzung schnell die eigene Glaubwürdigkeit einbüßen.
Und dann gibt es eben auch einen Aspekt der Bandgeschichte, der von Links nicht gerne gesehen wird: dass Death in June aus Crisis hervorgegangen ist. Die Gründe für eine Neuorientierung von Douglas P. und Tony Wakeford lagen unter anderem auch im Umgang linker Gruppen mit Musik und Ästhetik, den sie als Instrumentalisierung erfahren haben und dem sie ihre starke Ästhetisierung mitsamt der Selbstbeschreibung als ‚unpolitisch‘ entgegengehalten haben. Ihre Biographie ist keine ungewöhnliche. Immer wieder fallen Linke den Verlockungen rechten Denkens anheim und konvertieren von einem Lager in das andere. Diese Passage ist vielen peinlich, vor allem in der antifaschistischen Linken, die sich durch die klare Feindschaft nach Rechts definiert – und die Verlockungen der gegnerischen Seite gerne vollends leugnet.
Death in June verblieb zunächst auch im Milieu des ‚Rock against Racism‘ und trennte sich sogar von Tony Wakeford, weil dieser der British National Party beigetreten war. Der radikale Bruch geschah erst allmählich. Death in June prägte das Genre des Neofolk und es wäre wohl als Entwicklung der 80er Jahre dem kollektiven Vergessen anheimgefallen, hätte nicht die aufstrebende Neue Rechte und vor allem die Identitäre Bewegung den Neofolk für sich entdeckt.
Leipzig ist ein Austragungsort des kulturellen Kampfes geworden. Hier sind mit der verwurzelten linken (Musik-)Szene und mit dem WGT als größtem Festival der ‚schwarzen Szene‘ die beiden Hauptquellen des Neofolk vertreten. Einschlägigen rechten Bands wurde die Möglichkeit gegeben, auf dem WGT und auf dem runes + men festival in Leipzig aufzutreten, was die Linken verständlicherweise in Alarmbereitschaft versetzt hat. In dieser Auseinandersetzung heraus hat sich wohl auch die Ansicht Neofolk und Nazimusik als zwei Gesichter desselben Feindes zu betrachten, etabliert. Weil man diese kulturelle Hegemonie der Neuen Rechten bekämpfen will, ist man bei Auftritten besonders empfindlich, die mit Neofolk assoziiert werden und auf traditionellen linken Bühnen spielen wollen.
Hinzu kommt noch drittens – und hier lassen wir uns gerne von Gegenteil überzeugen –, dass sich die Innovationskraft aus dem linken Denken seit Jahrzehnten auf einem absteigenden Ast befindet, ganz besonders auf dem Feld experimenteller und extremer Rockmusik. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die kulturelle Avantgarde vorwiegend von der radikalen Linken und von Kommunisten gestellt wurde, ist seit dem Punk kein nennenswerter kultureller Ausdruck mehr entstanden, der entschieden und programmatisch linksradikal aufgetreten ist. Was sich im Untergrund der Rockmusik Interessantes entwickelt hat, ist in den letzten Jahrzehnten entweder in einem politikfernen Selbstverständnis geschehen oder war wie der Neofolk und Black Metal mehr oder weniger offen reaktionär. Damit ist auch der neidische Blick zu erklären, der gelegentlich von Links nach Rechts geht, weil dort romantische Stilelemente und die Entladung des Unbewussten viel leichter einen künstlerischen Ausdruck zu finden scheinen, während hier das schlechte Gewissen als valider Einspruch gesehen wird.
Der Einspruch gegen Nietzsche and the Wagners ist damit schnell fabriziert: Mit Sonne Hagal und Death in June haben sie in einem Interview gleich zwei belastete Bands aus dem Neofolk-Genre angesprochen und wurden also vor die Wahl gestellt sich entweder öffentlich davon loszusagen oder mit dem Tabu belastet zu werden. Es ist gar nicht gesagt, dass hier wirklich Kontakte bestehen, was durch die Gruppe jederzeit geleugnet worden ist und wofür es keine Belege gibt. Sie stehen also unter dem Druck, sich für einen Geschmack und einen biographischen Einfluss rechtfertigen zu müssen, den sie weder politisch deuten noch politisch ausleben. Hier trifft ein ästhetisches Projekt auf ein politisches, welches ja wesentlich auf dieselbe Entwicklung reflektiert.
Beim Hören von Nietzsche and the Wagners wird schnell deutlich, wie die Ästhetik des Post-Punk und auch des Neofolk stilbildend auf sie gewirkt hat. Instrumental ist es düster und monoton, Samples aus Geräuschen und zum Teil starke Verzerrung prägen den atmosphärischen Klang, die Texte bedienen sich einer lyrischen Sprache und erinnern im Gesang oft an religiöse Anrufungen. Insgesamt herrscht das Motiv des Verlustes und eine grundsätzliche Sentimentalität vor, die auch auf den Photos der Band, vor Leipziger Ruinen und in schwarz-weiß Kontrasten, zu sehen ist. Diese nach rückwärts blickende Sentimentalität kann leicht mit Douglas P.s SA-Nostalgie verwechselt werden, sie bezieht sich im Wesentlichen aber auf andere Inhalte. Das Album ‚No-Truth‘ besingt den Ukrainekonflikt und betrauert dort keine Banderafantasien, sondern den Verlauf der russischen Propagandamaschine und die verlorene Hoffnung der ukrainischen Revolution. Das Album endet mit einem KooperativnishtyaK-Cover, das Marx’ Satz vom „Gespenst in Europa“ vertont. Es klingt mit einem Chorgesang aus, der auf der Hälfte zwischen Untergang und Verheißung stehenbleibt.
Kein Wunder also, dass der Nazi-Vorwurf nicht nur Verblüffung ausgelöst hat, sondern geradewegs als Beleidigung aufgenommen wurde. Mit den Texten und der Gestaltung von ‚No-Truth‘ hat sich offensichtlich niemand beschäftigt. Atari und Island reichte der Verweis auf zwei Gruppen des geächteten Genres aus, um die Band im Kontext des Machtkampfes wahrzunehmen und damit hieß es: Reinigung oder Tabu. Dadurch haben sie nicht nur der Möglichkeit abgesagt, eine Spielart des Schönen und Erhabenen in ein linkes Selbstverständnis zu integrieren, anstatt die Sentimente den Neuen Rechten zu überlassen, sie halten auch ein Bild vom linken Projekt aufrecht, das den Feind braucht, um sich selbst zu definieren, zur Not eben auch einen virtuellen Feind.
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[…] halten, was man will, in einem Punkt muss ich ihnen einfach Recht geben: die linke Szene hat „der Möglichkeit abgesagt, eine Spielart des Schönen und Erhabenen in ein linkes Selbstverständ…. Dabei gibt es m.E. zwei Weisen, eine größere Räumlichkeit zu füllen: einen Vortrag über […]