Skip to content

23. 11. // Vortrag: „Nietzsches Kritik an Bildung und Wissenschaft“ von Paul Stephan // 14 Uhr 30 // Markplatz der kritischen Initiativen

Im Rahmen des nunmehr dritten „Marktplatzes der kritischen Initiativen“ wird die HARP in diesem Jahr nicht nur wie bisher mit einem Stand präsent sein, sondern wir haben Paul Stephan eingeladen, im Auftrag der HARP einen Vortrag über Nietzsches Bildungs- und Wissenschaftskritik zu halten. Er wird im 14 Uhr 30 im PEG am IG-Farben-Campus stattfinden, der genaue Raum wird dann dort zu erfahren sein.

Paul Stephan beschäftigt sich seit Jahren mit verschiedenen Aspekten von Nietzsches Philosophie, er versucht dabei stets Nietzsche im Kontext seiner linken wie rechten Rezeption im 20. Jahrhundert (Frankfurter Schule, Existenzphilosophie, Post-Strukturalismus) zu betrachten. Dieser Vortrag soll dabei kein Fachvortrag sein, sondern konkrete Bezüge von Nietzsches Denken zur aktuellen Situation der Hochschule aufzeigen und Impulse für eine verändernde Praxis liefern.

Zu einem Artikel von Paul Stephan zu dem Thema auf dem HARPblog.

Auch Paul Stephans programmatischer Text zum Begriff des „Halkyonischen“ bei Nietzsche aus der Narthex 2 setzt sich mit dessen Relevanz für eine Konzeption utopischer Bildung und Wissenschaft auseinander. Er kann online hier gelesen werden – und natürlich kann man die Narthex 2 auch bei unserem Stand erwerben.

Der Stand der HARP wird wieder einmal für Müde koffeinhaltige Limonade mit dem Geschmack einer südamerikanischen Pflanze bereit halten – und es wird dieses Mal ein besonderes Sonderangebot geben!

***

Nietzsches Kritik an Bildung und Wissenschaft

Eine Ein- und Weiterführung

 

Bildung nennen sie’s, es zeichnet sie aus vor den Ziegenhirten.

Unsere moderne Bildung ist eben deshalb nichts Lebendiges […] sie ist gar keine wirkliche Bildung, sondern nur eine Art Wissen um die Bildung, es bleibt in ihr bei dem Bildungs-Gedanken, bei dem Bildungs-Gefühl, es wird kein Bildungs-Entschluss daraus. Das dagegen, was wirklich Motiv ist und was als That sichtbar nach aussen tritt, bedeutet dann oft nicht viel mehr als eine gleichgültige Convention, eine klägliche Nachahmung oder selbst eine rohe Fratze. […] [U]nd so ist die ganze moderne Bildung wesentlich innerlich: auswendig hat der Buchbinder so etwas darauf gedruckt wie: Handbuch innerlicher Bildung für äusserliche Barbaren.

 

Friedrich Nietzsche (1848-1900) ist als Opfer des klassischen deutschen Bildungssystems zu betrachten. In der Familie wurde er streng puritanisch zu Pflichtgefühl, Strebsamkeit und Leibesfeindlichkeit erzogen; an der Eliteschule Schulpforta wurde ihm Jahrtausende europäischer Geistesgeschichte eingetrichtert; an der Universität endlich wurde sein philologisches Talent erkannt – und bereits mit 24 Jahren wurde er ‚Juniorprofessor‘ in Basel. Hier hatte er ein unglaubliches Lehrdeputat zu erfüllen und musste zur Aufbesserung seines kargen Lohns Stunden am Gymnasium geben. Doch er ertrug all das nicht wie ein braver Esel, sondern setzte sich dagegen intellektuell zur Wehr.

Bereits in seiner heute als wegweisend eingeschätzten Schrift Die Geburt der Tragödie (1871) kritisierte er die miefige Philologie seiner Zeit und setzte ihr ein ganzheitliches Wissenschaftsverständnis entgegen, in dem es nicht nur um die bloße Forschung um ihrer selbst willen, sondern um eine wirkliche Einfühlung in den Gegenstand im Dienste lebendiger Interessen geht. In seiner wissenschaftlichen Praxis setzte er sich für Reformen des Bildungssystems ein, u. a. machte er sich für die Zulassung von Studentinnen stark – damals ein ungeheures Novum. Er wurde dafür von seinen heute in Vergessenheit geratenen konservativen Kollegen der ‚Unwissenschaftlichkeit‘ geziehen, angefeindet, ignoriert und gemobbt.

Physisch und psychisch entkräftet, ließ sich Nietzsche 1879 in den Ruhestand versetzen. Als Lohn für all die Plackerei erhielt er immerhin eine kleine Pension, die es ihm ermöglichte, in materieller Unabhängigkeit die kritische Analyse seiner Zeit voranzutreiben – die Kritik an Bildung und Wissenschaft blieb dabei eines seiner Hauptthemen. Ähnliche Charaktere wie diejenigen, gegen die er damals polemisierte, forschen heute über ihn ehrfürchtig.

Der Vortrag soll kurz in einige basale Überlegungen von Nietzsche über Bildung und Wissenschaft einführen. Darauf aufbauend soll es darum gehen, darzulegen, inwiefern sich aus seiner Kritik Folgerungen für das aktuelle Bildungssystem und vielleicht sogar konkrete Verbesserungsmaßnahmen gewinnen lassen.