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Neue Perspektiven auf die Krise der Linken. Eine philosophische Gesprächsreihe

Am 11. 4., 2. 5., 20. 6., 25. 7., 8. 8. und 19. 9. live auf Youtube um jeweils 16 Uhr.

Idee & Konzeption: Paul Stephan & Emel Köse

Moderation: Paul Stephan

Diskutant/innnen[1]Ob der hier von uns verwendete Schrägstrich oder andere Formen der „gendergerechten Sprache“ wirklich geeignete Mittel sind, um die Diskriminierung von Frauen und von Personen mit uneindeutiger … Continue reading: Thomas Rudhof-Seibert, Tobias Prüwer, Jonathan Eibisch, Emanuel Seitz, Paul Stephan, Michael Jekel, Konstanze Caysa, Lukas Meisner, Christian Saehrendt, Linda Lilith Obermayr, Atta Boy, Karsten Schubert, Xenia Wenzel, die Redaktion der Narthex, ein Mitglied von LaBandaVaga, Daniela Dahn, Peter Seyferth, Berno Hoffmann

 

Von einer „Krise der Linken“ zu sprechen, könnte auf den ersten Blick verwundern. Wenn man das herrschende Gerede betrachtet, könnte man fast meinen, dass die Linke – verstanden im weitesten Sinne der Gesamtheit der gesellschaftlichen Bewegungen und Tendenzen, die sich für die vollständige Emanzipation aller Menschen einsetzen – gerade ganz im Gegenteil von einem Sieg zum nächsten schreitet: Linke Themen wie die „grüne Wende“, „offene Grenzen“ für alle Geflüchteten, rassistische Polizeigewalt oder die mangelnde Repräsentation von Frauen auf der Führungsebene werden breit diskutiert und scheinen mitunter sogar der gesellschaftliche Konsens zumindest unter „gebildeten Menschen“ zu sein. Besonders von rechten Medien wird oft von einem „Linksruck“ gesprochen oder gar eine vermeintliche „kulturmarxistische“ Unterwanderung der Staatsapparate beklagt.

Dennoch bleibt ein Gefühl des Ungenügens. Oft wird kritisiert, dass sich die Siege der Linken rein auf das beschränken, was man einmal als „Überbau“ bezeichnete und mit der gesellschaftlichen „Basis“, also den Produktionsverhältnissen, nichts mehr zu tun haben: Klassische linke Forderungen wie eine Neuverteilung oder gar Kollektivierung des Eigentums an Boden und Produktionsmitteln oder eine Welt ohne Kriege geraten weitgehend in den Hintergrund und selbst bei Themen wie der Aufnahme von Flüchtlingen, der „grünen Wende“ oder gar dem „Great Reset“ nehmen sich die realen Erfolge der Linken relativ bescheiden aus – und provozieren zugleich eine massive Gegenreaktion von rechts. Die kulturelle Dominanz der Linken – sofern sie überhaupt besteht außerhalb sehr bestimmter sozialer Zonen – ist also womöglich gar als Symptom ihres politischen und ökonomischen Bedeutungsverlusts zu begreifen: Statt die Systemfrage, so eine mögliche Diagnose, zu stellen oder wenigstens einen radikalen Reformismus zu vertreten, begnügt man sich mit symbolischen Zugeständnissen und ein paar Pöstchen in gesamtgesellschaftlich gesehen eher irrelevanten Teilen der Staatsapparate. Zuletzt in der Corona-Krise hat sich die Linke als nahezu vollkommen unfähig erwiesen, eine eigenständige gemeinsame Antwort auf die soziale Situation zu finden.

Wenn dem so ist: Wie kann die Linke wieder in die Offensive kommen? Diese Frage wollen wir nicht als politische Strategiediskussion aufwerfen, sondern als genuin philosophische: Wie kann das linke Projekt als philosophische Idee im 21. Jahrhundert reartikuliert werden? Was könnten genuin linke Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft sein? Wie könnte man das Bündnis zwischen linken und neoliberalen Kräften schon auf der theoretischen Ebene brechen?

Diese und verwandte Fragen wollen wir ergebnisoffen diskutieren und dabei die ausgetretenen Pfade existierender Theoriedebatten und Feuilletonartikel verlassen: Sie sollen auf ein philosophisches Niveau gehievt werden – und dadurch sollen, sofern das Experiment gelingt, auch ganz neue Handlungsalternativen für die konkrete politische Praxis aufscheinen.

Die Diskussionen finden jeweils als Livestream auf Youtube statt, die Zuschauer/innen können sich über den Chat beteiligen. Man kann sich die Gespräche aber auch im Nachgang noch auf Youtube ansehen (Link zur Playlist auf Youtube).

 

Die Termine im Einzelnen:

 

11. 4.: Identität vs. Klasse? – Wer macht eigentlich linke Politik?

Link zum Zusammenschnitt auf Youtube

Wenn heute von der strategischen Grundausrichtung der Linken die Rede ist, wird die Debatte meist anhand der Dichotomie von Klassen- vs. Identitätspolitik geführt. Während die einen beklagen, dass die Linke sich zu sehr von ihrem eigentlichen Adressaten – und zugleich Subjekt – abgewandt hätte, dem Proletariat, und sich zu sehr nur noch auf kulturelle Fragen der Identität fokussiere, fordern die anderen offensiv ein, dass die Emanzipationen von Gruppen wie Frauen, Homosexuellen, Schwarzen oder Transsexuellen genauso wichtig wie diejenige der Arbeiterklasse seien und als eigenständige Kämpfe geführt und ernst genommen, u. U. sogar priorisiert werden müssten.

Diese Entgegensetzung wollen wir zum Ausgangspunkt nehmen, um allgemein über die Frage zu diskutieren, wer heute als das Subjekt linker Kämpfe sinnvollerweise zu betrachten ist. Wer könnte das „Proletariat“ heute sein? Sollte man nicht eher von weiteren Kategorien wie dem „Prekariat“ oder der von Antonio Negri und Michael Hardt angeführten „Multitude“ sprechen? Geht mit der Rede vom „Proletariat“ eine problematische Privilegierung weißer heterosexueller Arbeiter einher? Und wie kann verhindert werden, dass die weiße Arbeiter/innenklasse, wie oft behauptet, sich mehr und mehr von der realexistierenden Linken abwendet und der Rechten zuströmt?

Wir wollen über diese und ähnliche Fragen mit Thomas Rudhof-Seibert diskutieren, einem Philosophen, der sich wiederholt zu Fragen einer linken Strategie für das 21. Jahrhundert geäußert hat, Tobias Prüwer, der gerade an einer Kritik des Konzepts der „Mitte“ arbeitet, sowie dem Leipziger Politikwissenschaftler Jonathan Eibisch, der eine Serie von Broschüren zu Grundfragen anarchistischer Theorie und Praxis vorlegte.

 

2. 5.: Politik und Emotion: Braucht es mehr Nietzsche in der Linken?

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In seinen Büchern Links–Nietzscheanismus. Eine Einführung (Stuttgart 2020) und Die Linke neu leben. Thesen für einen linken Nietzsche heute (Berlin 2019) wirbt der Leipziger Philosoph Paul Stephan für eine verstärkte Würdigung der Strömung des Links–Nietzscheanismus als Bestandteil der Geschichte der linken Bewegung. Eine seiner Kernthesen ist dabei, dass zahlreiche Links-Nietzscheaner/innen wie Gustav Landauer, Emma Goldman, Julius Leber, Wilhelm Reich, Georges Bataille, Ernst Bloch und Herbert Marcuse die Forderung einte, auch in einer linken Politik dem „irrationalen“ Moment mehr Gewicht zukommen zulassen. Der emotionalen Seite des Menschen sollte ein größere Bedeutung zukommen, als das in konkurrierenden Ansätzen wie dem Hegel-Marxismus und dem Links-Kantianismus der Fall war. In ihren Faschismus-Analysen diagnostizierten die Links–Nietzscheaner/innen, dass es vor allem die Vernachlässigung des Irrationalen durch die Mehrheitslinke war, die zu ihrer Niederlage und zum Sieg der reaktionären Kräfte geführte habe.

Braucht es also wieder mehr Emotionen in der Politik? Und wie kann es eine linke Politik vermeiden, dass aus den Emotionen Ressentiment entsteht? Gerade in diesen Zeiten der Corona-Krise, in denen eine vermeintlich rationale und von der Vernunft und Wissenschaft geleitete Politik zu neuen sozialen Ungerechtigkeiten führt, scheint es an einer sinnvollen Mobilisierung der Gefühle und des Irrationalen zu fehlen. Der Linken fehlt ein Narrativ der Hoffnung und die Rechte rekrutiert ihre Mitglieder mit dumpfen Ängsten und Hassgefühlen. Kann Nietzsches Philosophie der neuen Morgenröte hier ein Ausweg sein?

Der Philosoph Emanuel Seitz spricht mit Paul Stephan über dessen Bücher vor dem Hintergrund der Frage nach einer Emotionalisierung der Politik von links.

 

20. 6.: Ästhetisierung der Politik vs. Politisierung der Kunst: Kunst und Politik heute

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1936 schrieb Walter Benjamin in seinem Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: „Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. […] Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus. […] So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“

Diese Diagnose lässt sich sehr gut auf die Gegenwart beziehen: Einerseits haben wir es mit Politiker/innen wie Donald Trump zu tun, die sich der politischen Bühne offensiv zur Inszenierung eines ästhetischen Spektakels bedienen, andererseits mit einer (dem Anspruch nach) linken Politisierung der Kunst. Diese „Politisierung“ wirkt freilich der Kunst oftmals wie von außen aufgestülpt und wird als Bedrohung künstlerischer Autonomie wahrgenommen, wie sie Denker/innen wie Theodor W. Adorno gerade als Bedingung einer besonders gesellschaftskritischen Kunst ansahen. Fraglich ist zumal, ob nicht eine gewisse Ästhetisierung der Politik stets Bestandteil auch eines linken Projekts ist und sein sollte.

Diese Gemengelage wollen wir mit dem Philosophen Michael Jekel diskutieren, der vor allem zu einer materialistischen Ästhetik des Films arbeitet, mit der in Leipzig lebenden Philosophin und Künstlerin Konstanze Caysa, die in der Nachfolge Nietzsches zu existenziellen Formen des Wissens forscht, mit dem Autor und Philosophen Lukas Meisner, der für die Gegenwart ein „Ende der Kunst“ im Zuge ihrer Kommodifizierung diagnostiziert, und mit dem Kunstwissenschaftler Christian Saehrendt, der die Freiheit der Kunst für eine gefährdete Grundbedingung sozialer Freiheit hält.

 

25. 7.: Political Correctness – Rechter Kampfbegriff? Linkes Versagen? Politische Notwendigkeit?

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Die Debatte um Political Correctness kocht alle paar Monate mal wieder hoch, wenn – aus der Sicht der einen – das nächste unschuldige Opfer einem linken „Korrektheitsterror“ zum Opfer gefallen ist, oder – aus der anderen Sicht – eine Welle der gerechten Empörung dazu führte, dass sich der gesellschaftliche Diskurs in die richtige Richtung verschob. Jenseits der üblichen Feuilleton-Debatten wollen bei dieser Gesprächsrunde vor allem analytisch vorgehen und eine Versachlichung der Debatte bewirken: Was ist Political Correctness überhaupt? Wird mit diesem Begriff ein reales Phänomen beschrieben? Wie verhalten sich Politik und Sprache im Allgemeinen zueinander? Ist Political Correctness eine sinnvolle politische Strategie? Oder dient sie der bloßen Herstellung einer sauberen Fassade, während das Haus schmutzig bleibt? Wie könnte eine Political Correctness-Kritik von links aussehen? Oder handelt es sich von vorneherein um ein Scheinthema, über das man gar nicht sprechen sollte?

Wir diskutieren das Thema mit der österreichischen Philosophin und Juristin Linda Lilith Obermayr, atta boy, der das Essay Streitschrift für eine Politisch Unkorrekte Links-Linke (Bonn 2018) verfasste, Karsten Schubert, der für eine links-nietzscheanische bewusste strategische Verwendung von Formen der Political Correctness plädiert, und der Leipziger Philosophin und Sozialwissenschaftlerin Xenia Wenzel.

 

8. 8.: Vom Ende her denken – und handeln: Politik und Apokalypse

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Angesichts von Klimawandel und COVID-19-Pandemie hat das Thema „Apokalypse“ im Augenblick wieder Hochkonjunktur. Oft wird die Gefahr eines drohenden Kollapses der sozialen Ordnung von geradezu biblischem Ausmaß beschworen, um vorbeugendes politisches Handeln zu legitimieren. Sogar von Wissenschaftler/innen wird eine solche Rhetorik der Endzeit bisweilen bemüht. – Und die rechten Bewegungen fürchten sich vor der vermeintlichen Schreckensvision eines „Endes des christlichen Abendlandes“.

Dieser Deutung der Apokalypse als zu verhinderndem Zusammenbruch stehen andere politische Diskurse entgegen, in denen das Ende der gegenwärtigen Verhältnisse gerade als Hoffnung verstanden wird, verheißt es doch die Möglichkeit einer radikalen gesellschaftlichen Transformation. Die Rede beispielsweise vom „Ende des Patriarchats“ (Luisa Muraro) oder vom „Ende der weißen Weltherrschaft“ (Malcolm X) waren ein Ausdruck der Selbstermächtigung von Unterdrückten in emanzipatorischen sozialen Bewegungen.

Von einem „Ende der Geschichte“, wie es Francis Fukuyama 1989 meinte diagnostizieren zu können, kann angesichts solcher Tendenzen jedenfalls keine Rede sein. Ob damit freilich auch ein „Ende des Kapitalismus“ (Thomas Piketty) im Sinne des Übergangs zu einer besseren postkapitalistischen Gesellschaft verbunden sein wird, oder ob es am Ende doch nur bei einem „Great Reset“ (Klaus Schwab) bleiben wird, um einen neuen Entwicklungszyklus des alten Kapitalismus, diesmal grün und bunt statt trist und grau, einzuleiten, bleibt abzuwarten.

Vielleicht sollte man auch versuchen, die Apokalypse im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Wortes zu verstehen: als Offenbarung – als die Aufdeckung eines gegenwärtigen Zustands, nicht so sehr als Prognose der Zukunft. Wahrscheinlich projiziert sich in jeder Vorstellung von Apokalypse eine Gesellschaft auf ihre eigenen Grenzen und ihr eigenes Ende hin und verrät damit ihr eigenes Selbstverständnis – und jede einzelne apokalyptische Positionierung ist somit Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Tendenz.

Die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie widmet die diesjährige Ausgabe der Narthex. Heft für radikales Denken dem Thema der Apokalypse. In dieser Gesprächsrunde wird die Redaktion der Zeitschrift das Konzept des Heftes vorstellen und die Frage erörtern, worin die Relevanz einer apokalyptischen Perspektive für eine linke Theorie und Praxis der Gegenwart liegen könnte.

 

19. 9.: Worauf zielt linke Politik? – Die Frage nach der Utopie

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Was bei allen konkreten strategischen und sozialdiagnostischen Erwägungen Politik nicht vergessen werden sollte, ist die Frage, was eigentlich der Sinn linker Politik ist und sein sollte. Für die modernen sozialen Bewegungen war es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein selbstverständlich zu beanspruchen, nicht nur für diese oder jene tagespolitische Forderung zu kämpfen, sondern für die kühne utopische Vision einer universell befreiten Gesellschaft. Heute ist es umstritten, ob man überhaupt noch von so etwas wie „demokratischem Sozialismus“ als Horizont des eigenen politischen Handelns sprechen dürfe, und jene utopische Grundorientierung scheint mehr und mehr zu einer hohlen Phrase zu werden.

Bestünde ein Ausweg aus der Krise der Linken in einer glaubwürdigen Rückbesinnung auf das utopische Moment der klassischen linken Politik? Gälte es, den Traum von einer radikalen sozialen Transformation, also einer globalen Überwindung von Kapitalismus, Patriarchat, strukturellem Rassismus etc., wieder verstärkt zu reaktivieren? Und wenn ja: Was ist eine zeitgemäße Form, die dieser Traum heute annehmen könnte? Wie ließe sich verhindern, dass er zum Alptraum ausartet? – Oder handelt es sich um einen Ballast, der endlich endgültig abgeworfen werden sollte?

Wir diskutieren diese Fragen mit einem Mitglied der Gruppe LaBandaVaga, dem Anarchismus- und Utopie-Forscher Peter Seyferth, dem Philosophen und Erziehungswissenschaftler Berno Hoffmann und der Autorin Daniela Dahn.

 

Die Veranstaltungsreihe wird gefördert aus Mittel des Studentischen Projektrats der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

References

References
1 Ob der hier von uns verwendete Schrägstrich oder andere Formen der „gendergerechten Sprache“ wirklich geeignete Mittel sind, um die Diskriminierung von Frauen und von Personen mit uneindeutiger Geschlechtsidentität zu beenden, oder genau Ausdrucksform einer im Ansatz verfehlten Symbolpolitik, die die realen Probleme kaschiert anstatt zu ihrer Bekämpfung beizutragen, ist eine der vielen Fragen, die wir im Rahmen unserer Reihe offen und kontrovers diskutieren möchten.

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  1. […] ich weiß… es gibt immer viel Kritik an der Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie. Mir gehen die infantilen Reflexe aktuell dann doch auch zu weit. Andererseits verachte ich […]